Warum KANAL?
Im Rahmen des vom Technologietransfer-Programm Leichtbau des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Forschungsprojekts KANAL wird das Ziel verfolgt, eine durchgängige Prozesskette von Aluminium-Neuschrotten der Kfz-Herstellung von der Anfallstelle über die Identifikation, Sortierung bis hin zum Schmelzwerk bzw. Halbzeug-Hersteller und Wiedereinsatz in Kfz-Leichtbauteilen zu entwickeln. Die Prozesskette soll anschließend erstmals im Pilotmaßstab demonstriert und die Lösung auf weitere Schrotte, auch aus anderen Branchen wie die Luftfahrt-, Bau- oder Verpackungsbranche transferiert werden.
Im Fokus des Forschungsprojekts stehen die Aluminium-Legierungsgruppen der 5xxxer- und 6xxxer-Reihe. Der technologie- und zielgerichtete Einsatz verschiedener Aluminium-Legierungen bedingt eine Vermischung beim Betrieb der Presswerke, die derzeit im Nachfolgeprozess des Neuschrott-Recyclings nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Nur durch eine sortenreine Trennung der Neuschrotte ist ein Closed-Loop-Prozess realisierbar. Vermischter Aluminium-Neuschrott kann derzeit nur einem Aluminium-„Downcycling“ zugeführt werden, denn die jeweiligen Legierungsbestandsteile von Silizium (Si) und Magnesium (Mg) differenzieren sehr stark in der Grundmaterial-Zusammensetzung innerhalb der adressierten Aluminium-Legierungsgruppen. Als zentraler technischer Schritt der Legierungstrennung und damit der Kreislaufschließung wird eine durchsatz- und qualitätsoptimierte laserinduzierte Plasmaspektroskopie (LIPS)-Technologie, die die gemischten Aluminiumschrotte der Legierungsgruppen identifiziert und trennt angestrebt. Dies ermöglicht für den Standort Deutschland die erneute Werkstoffnutzung von Neuschrotten.
Mit einem weltweiten Verbrauch von etwa 14,4 Mio t ist Sekundäraluminium einer der wichtigsten metallischen Werkstoffe und das wichtigste Leichtmetall mit Anwendungen in den Schlüsselbranchen Automobil, Bauwesen und Verpackung. In Deutschland liegt der Aluminiumverbrauch derzeit bei 2,1 Mio t/a, von welchen lediglich etwa ein Drittel durch Sekundäraluminium gedeckt wird [1].
Deutschland verfügt nicht über Bauxit als Aluminium-Primärrohstoff und ist daher vollständig von Importen abhängig. Gleichzeitig werden knapp 1 Mio t Aluminiumabfälle und -schrotte exportiert [2]. Durch innovative Aufbereitungsansätze wie den Einsatz von LIPS können aluminiumhaltige Abfälle in Deutschland wiederverwertet, die Wertschöpfung im Land behalten und letztlich die Rohstoffsicherheit produzierender Unternehmen substanziell verbessert werden.
Mit 45 % des deutschen Aluminiumverbrauchs stellt die Kfz-Industrie mit Abstand den größten Anwendungsbereich dar, da konventionelle Neuwagen etwa 180 kg Aluminium und Elektrofahrzeuge bis über 440 kg/Fahrzeug enthalten [3]. Zwar wird zukünftig weniger Aluminium für Motoren eingesetzt, jedoch wird diese Abnahme deutlich durch spezifische Komponenten für batterieelektrisch betriebene Fahrzeuge (v. a. durch das Batteriegehäuse sowie durch Karosseriekomponenten) kompensiert. Allein bis 2025 wird mit einer Zunahme der Aluminiummasse von etwa 20 kg/Fahrzeug gerechnet [4]. Aluminium ist damit ein zentraler Werkstoff für die Erschließung der Elektromobilität als wichtigem Zukunftsmarkt der Automobilindustrie.
Die Entwicklung einer durchgängigen Prozesskette von Aluminium-Neuschrotten beinhaltet zudem ein Umweltentlastungs-Potential, zurückzuführen auf den Verzicht bzw. die Substitution von Primäraluminium bei der Kfz-Herstellung. Derzeit werden im Recyclingprozess der Schmelzwerke unerwünschte Legierungselemente oder Verunreinigung in der Schmelze durch die Zumischung von Primäraluminium beherrscht, dessen Herstellung Klimawirkungen standort- und verfahrensabhängig zwischen 4,5 und 33,6 kg CO2eq/kg Aluminium [5] (in Europa durchschnittlich 6,7 kg CO2eq/kg Aluminium) erzeugt. Die Klimawirkung von rezykliertem Aluminium liegt zum Vergleich bei lediglich 0,5 kg CO2eq/kg Aluminium [6]. Das noch nicht erschlossene Klima-Potential durch Aluminium-Recycling in Deutschland wird mit jährlich 2,8 Mio. t CO2eq beziffert [7]. Der Einsatz von (saubereren/legierungsspezifisch getrennten) Aluminiumschrotten zur Herstellung von z. B. Knetlegierungen hat positive Klimawirkungen durch die direkte Materialsubstitution, aber auch durch den verringerten Bedarf an Primär-Aluminium zur Legierungseinstellung (Verdünnung).
Im vorgeschlagenen Vorhaben soll die legierungsspezifische Wiederverwertung von Aluminium-Neuschrotten aus der Automobilindustrie pilothaft umsetzt werden. Mittelpunkt des Vorhabens ist eine LIPS-Sortieranlage, die jährlich anfallende Aluminium-Stanzabfälle von bis zum 4.000 t eines namenhaften Automobilherstellers sortieren wird. Konservativ geschätzt ist es durch das Forschungsvorhaben möglich damit etwa 8.000 bis 18.000 t THG-Emissionen einzusparen [8].
Durch das AP1 werden die Spezifikationen der KANAL-Recyclinglösung gesamthaft erfasst, harmonisiert und konsolidiert. Durch Auswertung vorhergehender Arbeiten und ergänzender Recherchen werden dabei die bereits verfügbaren Informationen zum Entwicklungsgegenstand bereitgestellt. Der neue, akteurs übergreifende Multi-Partner-Ansatz erfordert dann den Einsatz von Kooperations- und Projektmanagementmethoden (v. a. Workshops, Abstimmungen), um eine gesamthafte Lösung festzulegen und basierend darauf ein abgestimmtes Anforderungsdokument (Lastenheft) in Verbindung mit den Zielvorgaben der Partner (z. B. zu Anlagendurchsätzen, Produktqualitäten, Lieferformen) zu erarbeiten. Hierbei werden insbesondere die bestehenden Qualitätsdefinitionen an Schnittstellen überprüft und fortgeschrieben. Bei der Ausarbeitung werden alle Vorhabenspartner aktiv eingebunden, da die Lastenhefterstellung die technische Grundlage für die Prozessentwicklung und -optimierung bildet.
Zur Erarbeitung des Lösungs-Konzeptvorschlages (Pflichtenheft) werden vorrangig technische Spezifikationen möglicher Techniken partnerspezifisch identifiziert, bewertet und ausgewählt. Die Bewertung auf technischer Ebene wird mit ökobilanziellen und wirtschaftlichen Informationen ergänzt, um so ein Gesamt-Optimum des Kreislaufansatzes zu identifizieren.
Im AP3 werden durch die Bewertung von Anlagenkomponenten (ggf. auf Basis z. T. externer Vorversuche) Investitionsentscheidungen final getroffen und umgesetzt. Hierbei fokussiert Tomra auf die LIPS-Sortieranlage mit aufgrund des Entwicklungscharakters längerer Bearbeitungszeit (Prüfung der Kombination mehrerer Identifikationsverfahren) und Lang Recycling auf Aufbereitung und v. a. Vorzerkleinerung.
Nach erfolgter Anlagen- bzw. Komponentenbeschaffung (AP3) werden die Anlagen in den bestehenden Anlagenkontext integriert. Hierzu sind bauseitige Voraussetzungen zu schaffen sowie die Kaltinbetriebnahme durchzuführen. Eine besondere Herausforderung besteht hierbei im Anlagentransfer, bei welchem der Projektpartner Tomra die Anlage zum Projektpartner Lang transferiert und dort integriert und in betrieb nimmt.
Im Rahmen des AP5 wird die „Heißinbetriebnahme“ der Anlagen umgesetzt, um die in AP3 definierten Leistungsparameter bzw. Leistungsfenster der Module zu überprüfen bzw. durch Anlagenanpassungen deren Erreichen sicherzustellen. Die hierbei identifizierten Daten bzw. umgesetzten Änderungen bilden die Basis für eine Fortschreibung der ökonomischen und ökologischen Bewertung der Verfahren (AP2).
Während AP5 auf die einzelbetriebliche und Einzelanlagen-Optimierung zielte, ist die Entwicklung eines unternehmensübergreifenden Gesamtoptimums des Prozesses Gegenstand des AP6. Dieses Gesamtoptimum soll durch aufeinander abgestimmte und ökologisch sowie ökonomisch bewertete Kompaktierungs-, Logistik-, Zerkleinerungs-, Detektions-, Sortier-, Gattierungs-, und Legierungslösungen erreicht werden. Hierzu ist die Kooperation sowie substantielle Arbeitsleistung aller Vorhabenspartner erforderlich, um zunächst planerisch (koordiniert durch Lang und unterstützt durch IB Jeanvré) und anschließend physisch Stoffströme einschließlich einer stoffstrombegleitenden Analytik (Hochschule Pforzheim, unterstützt durch Ingenieurs Büro Jeanvré) von der Anfallstelle zur Aufbereitung (Lang Recycling) zu transferieren und dort mit versuchs- bzw. chargenspezifisch adaptierter Anlagentechnik (TOMRA) Chargen für die anschließende Verwertung im Schmelzwerk herzustellen bzw. abzumustern. Es werden Stoff- und (überbetriebliche) Informationsflüsse betrachtet. Mindestens 20 Proben-Chargen durchlaufen diese Schritte und werden dabei detailliert dokumentiert und auf den Verarbeitungsstufen v. a. durch Korngröße und Elementanalyse charakterisiert. Dies dient auch der Identifikation des Transferpotentials auf andere Branchen (Vorbereitung von AP8). Die Option der Gattierung direkt bei der Sortierung wird ebenfalls überprüft.
Für die Beschreibung und Bewertung des KANAL-Ansatzes wird ein Umberto-Ökobilanzmodell (LCA) aufgebaut und entsprechend des Vorhabensfortschritts fortgeschrieben, so dass u. a. gesicherte Ergebnisse zu Klimaentlastung (CO2-Footprint, Scope 1 bis 3) durch das Vorhaben vorgelegt werden. Diese Ergebnisse sollen publiziert werden, die Anfertigung einer
entsprechenden Promotionsarbeit ist beabsichtigt.
Gegenstand des AP8 ist die systematische Identifikation und technisch-wirtschaftliche sowie umweltliche Bewertung der Technologieanwendung für weitere Branchen sowie die Ansprache solcher weiteren potenziellen Nutzer. Hierzu werden nach Literaturauswertung Alt- und Neuschrotte z. B. aus den Branchen Luftfahrt, Bauwesen oder Verpackung beschafft, mit dem KANAL-Ansatz praktisch untersucht (vgl. Arbeitsbeschreibung zu AP6) und die Ergebnisse zielgruppenspezifisch (Publikationen online/print, Veranstaltungsbesuche) kommuniziert. Dazu werden sich alle Partner auf veröffentlichungsfähige bzw. kommunizierbare Informationsumfänge verständigen, diese Informationen für ihr branchenspezifisches Netzwerk aufbereiten und dort zielgruppenadaptiert kommunizieren. Darüber hinaus wirken alle Partner aktiv mit Ergebnispräsentationen am Abschlussworkshop mit.
Das Projekt wird gefördert vom Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) in Rahmen des Technologietransfer-Programm Leichtbau.
Laufzeit 01. Mai 2023 bis 31. April 2026
Förderkennzeichen: FKZ 03LB4015D
[1] Vasters, Jürgen; Franken, Gudrun (2020): Aluminium. Informationen zur Nachhaltigkeit. Hg. v. Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Online verfügbar unter www.bgr.bund.de/DE/Gemeinsames/Produkte/Downloads/Informationen_Nachhaltigkeit/aluminium.pdf, zuletzt geprüft am 27.07.2023.
[2] Bookhagen, Britta; Eicke, Corinna; Elsner, Harald; Henning, Sören; Kern, Marius; Kresse, Carolin et al. (2022): Deutschland - Rohstoffsituation 2021. Hg. v. Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Online verfügbar unter www.bgr.bund.de/DE/Themen/Min_rohstoffe/Downloads/rohsit-2021.pdf, zuletzt geprüft am 27.07.2023.
[3] WirtschaftsVereinigung Metalle (WVMetalle) (Hg.) (2021): Metallstatistik. Gemeinsam Aufbrechen 2020. Online verfügbar unter https://www.wvmetalle.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=314715&token=ae6cf4b3bd20efc41f3d76bfb263e9af22798787, zuletzt geprüft am 27.07.2023.
[4] DuckerFrontier (2019): Aluminum Content in Euorpean Passenger Cars. Online verfügbar unter european-aluminium.eu/wp-content/uploads/2022/10/aluminum-content-in-european-cars_european-aluminium_public-summary_101019-1.pdf, zuletzt geprüft am 27.07.2023.
[5] Milovanoff, Alexandre; Posen, I. Daniel; MacLean, Heather L. (2021): Quantifying environmental impacts of primary aluminum ingot production and consumption: A trade‐linked multilevel life cycle assessment. In: Journal of Industrial Ecology 25 (1), S. 67–78. DOI: 10.1111/jiec.13051.
[6] European Aluminium (2020): Circular Aluminium Action Plan. A Strategy for Achieving Aluminium´s full Potential for Circular Economy by 2030. Online verfügbar unter european-aluminium.eu/wp-content/uploads/2022/08/2020-05-13_european-aluminium_circular-aluminium-action-plan_executive-summary.pdf, zuletzt geprüft am 27.07.2023.
[7] BDE (Hg.) (2020): Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft - 2020. Online verfügbar unter www.bvse.de/dateien2020/2-PDF/01-Nachrichten/01-bvse/2020/November/Statusbericht_der_deutschen_Kreislaufwirtschaft_2020.pdf, zuletzt geprüft am 27.07.2023.
[8] https://www.daimler.com/nachhaltigkeit/gesichter-der-nachhaltigkeit/alexander-knittel.html