Pforzheim ist nicht nur Gold- sondern auch Recyclinghauptstadt
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Gold ist eines der seltensten Elemente der Erde: „Um ein Gramm Gold zu finden, muss eine Tonne Erz bewegt werden – die Häufigkeit ist so gering, dass wir einen sehr hohen Aufwand betreiben müssen, um es abzubauen. Dieser Punkt wird sich durch den Vortrag ziehen“, eröffnete Professor Dr. Mario Schmidt, Leiter des Instituts für Industrial Ecology (INEC) an der Hochschule Pforzheim, seinen Studium Generale Vortrag. Er nimmt die Zuhörer des Audimax mit auf eine Reise vom Urknall, über Goldgräberstätten in Brasilien, bis hin zu den Scheideanstalten in Pforzheim, die Gold recyclen. Ist die Goldstadt auch Recyclinghauptstadt? Diese zugespitzte Frage soll an diesem Abend geklärt und durch den Punkt „Herkunft und Verbleib von Gold“, ergänzt werden. Die Antwort kurz vorweggenommen: Ja, die Stadt ist an der Spitze im Goldrecycling, doch dazu später mehr.
Der Forscher, der ursprünglich Mathematik, Physik und Astrophysik studierte, führt ein, dass es eine hohe Konzentration von Neutronen brauche, um Schwermetalle hervorzubringen - so genannte Supernovae oder Kilonovae. Eine kosmische Kollision als Geburtsstätte von Gold, zwei Neutronensterne, die umeinanderkreisen und ineinander fallen - das fasziniert auch die zahlreich erschienenen Gäste aus der Schmuckbranche. Doch viel interessanter für den so genannten Carbon Footprint, die Ressourceneffizienz von Gold, ist der Abbau und die Gewinnung des Materials. „Insgesamt wurden in der Menschheitsgeschichte bisher ca. 210.000 Tonnen Gold gefördert, das entspricht ungefähr einem Würfel, der neben das Brandenburger Tor passt“, so Schmidt – diese Menge sei weiterhin verfügbar (46% davon in Schmuck, 22% Barren und Münzen, 17% lagert in den Zentralbanken, 15% Sonstige) und könne eigentlich für die Industrie verwendet werden. Doch der Mensch möchte immer mehr, um es als Schmuck oder Geldanlage einzuschließen.
Gold ist alles andere als glänzend für die Umwelt – zumindest beim Abbau. Hierbei werden folgende Arten verwendet, die Professor Schmidt teilweise mit seinen Erfahrungen und Forschungsaufenthalten in Brasilien bildlich untermauerte: industrieller Goldabbau, als Nebenprodukt im Bergbau, Klein und Kleinstbergbau ASM (engl. artisanal and small-scale mining), Recycling aus Schmuck (high value scrap) oder Recycling aus Elektronikschrott. Beim industriellen Abbau von Gold werden große Erzmengen bewegt, dabei wird die Umwelt vor allem durch Quecksilber belastet. „In Brasilien wird der Schlamm über Waschrinnen geleitet – sie sind mit Teppichen ausgelegt. Daran verfängt sich dann das Gold, alle 2-3 Tage wäscht man es aus“, berichtet der Professor von seinen Beobachtungen im Amazonas-Gebiet. Quecksilber werde dabei am häufigsten genutzt, um das Gold zu binden, da es ein Amalgam mit dem Element eingehe. Normalerweise wird das Quecksilber im Nachgang mit einem Brenner verdampft und gelangt so in die Umwelt. Neuerdings verwendet man auch Methoden, in denen ein Behälter benutzt wird, um es aufzufangen und wiedereinzusetzen. Wichtigstes Förderland für Gold ist China, gefolgt von Australien und Russland.
Wie sieht der Klimafußabdruck von Gold aus?
Um diese Frage zu beantworten, bezieht der Leiter des Instituts für Industrial Ecology mehrere Daten ein und gelangt zum Ergebnis, dass im Durchschnitt 22 000 Tonnen CO₂ ausgestoßen werden, um ein Kilo (Primär)Gold zu gewinnen. Mario Schmidt war es ein Anliegen darzulegen, dass nicht die Goldgräber alleine die Schuld für das Abholzen des Regenwaldes tragen: „Sie werden sehr dämonisiert. Ich muss sagen, das sind ganz normale Menschen, denen es darum geht, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und ihre Familien zu ernähren. Aber die vielen Rinderfarmen sowie Sojaplantagen für Futtermittel – das sind die Flächen, die den Regenwald dezimieren. Letztendlich müssen wir uns also an die eigene Nase fassen, da wir das Fleisch konsumieren.“
In seinen Forschungen hatte der Wissenschaftler 2019 außerdem die Möglichkeit, Scheideanstalten zu besuchen, um Produktionen daraufhin zu analysieren, wie hoch der Carbon Footprint ist. „Die Werte liegen pro Kilo Gold bei circa 40 Kilogramm – statt Tonnen! Somit liegen die Ergebnisse für die Ökobilanz von recyceltem Gold um Zehnerpotenzen unter den gängigen Werten“, erläutert Schmidt. Er schätzt, dass in Pforzheim jährlich 100 Tonnen Gold produziert werden, fast alles aus Recyclingmaterial, anders als in vielen anderen Ländern. Bei keinem anderen Metall werden so hohe Recycling- und Rückgewinnungsraten erreicht und der Klimafußabdruck fällt auch niedrig aus. Somit ist das Fazit des Abends: „Pforzheim ist und bleibt Goldstadt, an der Spitze im Goldrecycling und ist vielleicht sogar der Hidden Champion beim Recycling.“ Damit trage die Stadt erheblich zum Klimaschutz bei, beantwortet Schmidt die Eingangsfrage und leitet in eine angeregte Fragerunde ein.
Das Studium Generale setzt sein Programm am 7. Dezember um 19 Uhr fort. Dann beschließt Dr. Dr. h.c. Heiner Bielefeldt, Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg, das Wintersemester. Er wird über "Verkanntes Menschenrecht? Aktuelle Auseinandersetzungen um die Religionsfreiheit" sprechen. Sein Vortrag ist ein weiterer Beitrag der Hochschule Pforzheim zum Reuchlinjahr 2022.
Alle Informationen rund ums Studium Generale finden Sie auf www.hs-pforzheim.de/hochschule/oeffentlichkeit/studium_generale