Deutsche Energie- und Klimapolitik: Vom Vorreiter zum Versager? - Wie wir das Klima jetzt noch retten können
Deutsche Energie- und Klimapolitik – vom Vorreiter zum Versager?
Dieser Frage widmete sich Dr. Julia Verlinden zum Abschluss der Ringvorlesung Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit im Sommersemester 2019. Frau Verlinden ist Bundestagsabgeordnete aus Lüneburg, energiepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von B90/Die Grünen und ordentliches Mitglied des Bundestagsausschusses „Wirtschaft und Energie“. Vor ihrer Wahl in den Bundestag 2013 arbeitete die Diplom-Umweltwissenschaftlerin und promovierte Politologin u. a. zu Energieeffizienzthemen am Umweltbundesamt.
Klimakrise und das 1,5 Grad Ziel
Zu Beginn verdeutlichte Frau Verlinden, dass die Klimakrise inzwischen eingetreten ist und es nicht mehr darum geht sie noch zu vermeiden, sondern darum, sie zu stoppen. Im Hinblick auf das Ziel des verbindlichen internationalen Pariser Klimaschutzabkommens, die Erderwärmung auf unter 1,5 Grad zu begrenzen, zeigte die Bundestagsabgeordnete anhand einiger Statistiken auf, dass die aktuellen politischen Maßnahmen in Deutschland nicht zur Zielerreichung genügen. Bewegungen wie „Fridays for Future“ und „Scientists for Future“ weisen nach ihrer Auffassung zu Recht auf diese Situation hin.
Erfolgsgeschichten deutscher Energie- und Klimapolitik
Zugleich nannte Frau Verlinden auch Erfolge der bisherigen Energie- und Klimapolitik in Deutschland. So hat sich das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu einem politischen Instrument entwickelt, das von vielen anderen Ländern übernommen wurde. Auch der große Anteil erneuerbarer Energieerzeugung in Bürgerhand sei ein großer Erfolg, der zur Demokratisierung und Dezentralisierung der Energieversorgung beitrage und verhindere, dass nur wenige Großkonzerne die Gewinne aus Zukunftstechnologien einstreichen.
Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen
Den Anfangserfolgen der Energie- und Klimapolitik folgten nach Auffassung der Bundestagsabgeordneten in den letzten Jahren eher Stagnation und Rückschritte. So wird das deutsche Minderungsziel für Treibhausgase für 2020 um voraussichtlich 8% ebenso verfehlt wie das Langfristziel einer im schlechtesten Fall nur achtzigprozentigen Reduktion in 2050. Zugleich sei Deutschland führend beim Verbrennen von Braunkohle weltweit, während sich die Bundesrepublik beim Anteil erneuerbarer Energien im EU-Vergleich mit Platz 16 nur im Mittelfeld der EU befindet. Da Deutschland seine spezifischen Klimaziele nicht erfüllen wird, sei zudem mit Strafzahlungen zu rechnen, für die bereits Posten im Bundeshaushalt einkalkuliert würden.
Weitergehende Maßnahmen und Forderungen
Nach dieser Bestandaufnahme nannte Frau Verlinden eine Vielzahl von Maßnahmen, die den Ausbau der Erneuerbaren Energien wieder beschleunigen könnten. Hinsichtlich Windenergie gehörten hierzu die Vereinfachung von Ausschreibungen, die Stärkung lokaler Bürgerenergie, Rechtssicherheit für Windausbau und Naturschutz sowie der windenergiekompatible Umbau der Flugsicherung. Für den Ausbau der Solarenergie nannte sie die Mieterstromausweitung, die Streichung der Deckelung des Ausbaus und eine Solarpflicht für Neubauten. Besondere Bedeutung kommt nach Einschätzung der Referentin dem Wärmesektor zu, der mehr als die Hälfte des deutschen Endenergieverbrauchs verursache. Auch im Bereich Mobilität und Verkehr müsse deutlich mehr passieren, da die Emissionen dieses Sektors bisher nicht wesentlich zurückgingen. CO2-Preise und Infrastrukturausbau im Hinblick auf ÖPNV und Fahrrad waren einige der weiteren Ideen und Forderungen, die die Bundestagsabgeordnete in ihrem Vortrag nannte.
Von Suffizienz bis Lithium
In der abschließenden Diskussion stellte sich Frau Verlinden den weitgefächerten Fragen der Zuhörer/innen. Diese wollten u. a. wissen, wie ein sozial verträglicher CO2-Preis gestaltet werden könne, welche Alternativen die Referentin zu Elektromobilität sieht, ob Suffizienzstrategien und Verbote gesellschaftsfähig sind und wie sie zu den Abbaubedingungen des für die Elektromobilität benötigten Lithium steht.
Vortrag und Diskussion ermöglichten einen Einblick in die Vielschichtigkeit und Komplexität des Themenfelds, in dem sich politische Entscheidungsträger bewegen, um eine langfristig erfolgreiche und gesellschaftlich akzeptierte Klima- und Umweltpolitik zu gestalten.
Ab Oktober geht es mit der Ringvorlesung Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit im Wintersemester 2019/20 weiter.