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Praktische Erfahrung – aber virtuell?! Studierende und Unternehmen bleiben vernetzt

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Kooperationen zwischen Hochschule Pforzheim und Industrie auch in Zeiten von Corona

 

Aktuell absolvieren 387 Studierende der Hochschule Pforzheim ein Praxissemester und sammeln Erfahrungen in verschiedensten Unternehmen – sowohl im In- als auch im Ausland.
Als Hochschule für Angewandte Wissenschaften ist die HS PF weiter über zahlreiche studentische Projekte oder Abschlussarbeiten, Forschungs- und Lehrkooperationen eng mit der Industrie verbunden. Was bedeutet die aktuelle Situation für den traditionellen Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft? Bleiben Hochschulangehörige und Unternehmensvertreter auch während der Krise im Austausch? Und wenn ja, wie laufen Praktika oder Auslandsaufenthalte in diesem ungewöhnlichen Sommersemester ab?


Nadja Sommer schätzt den Modellbau im Designprozess. Auch wenn die Studentin aus dem Industrial Design in diesem außergewöhnlichen Semester wenig bauen wird, ist sie begeistert von ihrem Praktikum bei der Agentur Crafting Future in Hannover. Zwar musste die 22-Jährige schon nach zwei Wochen die Heimreise antreten, arbeitet aber einfach im Homeoffice weiter – genau wie das gesamte Team des Start-ups. „95% unserer Arbeit läuft weiter, darüber sind wir sehr froh“, so Geschäftsführer Jan Patzer. Mit einem Kaffeebecher aus gepressten Reishülsen startete das Hannoveraner Start-up im Jahr 2017 auf dem Markt, seither wächst der Bedarf an Alltagsprodukten, die dabei helfen, Müll zu vermeiden. Schon im Studium hatte Nadja Sommer einen Wasserkocher aus Keramik konstruiert. Ihr Interesse für nachhaltige Produkte hat sie gezielt zu ihrem Praktikum geführt. „Meine Aufgabe ist die Produktentwicklung einer Kinder-Lunchbox, die im Herbst in Produktion gehen wird.“ Ihr aktueller Chef weiß auch, wie man ein Team in diesen digitalen Zeiten zusammenhält: „Das ist ganz einfach: Verantwortung übertragen! Wenn ich mein Thema nicht selbst vorantreibe, geht es nicht weiter. Das ist ein guter Motivator.“ In täglichen Online-Treffen tauscht sich die angehende Designerin mit ihren Kollegen aus und ist zuversichtlich, dass sie die Produktentwicklung vor dem Ende des Praktikums wieder in Hannover weiterführen kann – mit Werkstätten und der kreativen Community.

Das Projekt Kinder-Lunchbox geht weiter: Industrial Design-Studentin Nadja Sommer zu Hause in Schwäbisch Gmünd. (Foto: privat)

Kevin Konusch studiert „Maschinenbau / Produktionstechnik und -management“ im achten Semester. Seine Bachelorarbeit in Kooperation mit der priomold GmbH im schwäbischen Schömberg hatte er am 2. März begonnen. Bis Ende Juni wird der angehende Ingenieur den Hersteller von Spritzgussbauteilen im Rahmen der Automatisierung der Werkzeugproduktion unterstützen. Er konstruiert eine Spannvorrichtung, um bestimmte Werkzeugteile einfach und sicher für die Zerspanung zu fixieren. Zusätzlich programmiert er eine Software, die das dazugehörige Fräsprogramm automatisch erstellt „Jetzt arbeite ich natürlich überwiegend von Zuhause aus. Die aktuell deutlich verlängerten Lieferzeiten von Zulieferern verschieben meinen Zeitplan. Mit meinen Betreuern bleibe ich über Telefon, Mail und Videokonferenz aber bestens vernetzt“, so Konusch. „Als junges, wachsendes Unternehmen benötigen wir gut ausgebildete Fachkräfte. Hier ist die HS PF für uns ein wichtiger Partner“, so Moritz Zumdick, Technischer Leiter der priomold GmbH. Auf den Corona-bedingten Auftragsrückgang reagiere man nun mit der Produktion von Teilen von Schutzausrüstungen. Für die Arbeit des Werkstudenten allerdings ergebe sich nur eine Änderung: Das persönliche Kennenlernen zwischen den Thesis-Betreuern Zumdick und Maschinenbau-Professor Jürgen Bauer muss einstweilen verschoben werden. „Dass die priomold GmbH sich trotz der aktuellen Notlage an der Ausbildung junger Ingenieure beteiligt, ist sehr erfreulich und angesichts gesetzlicher Beschränkungen sicher nicht ganz einfach“, so Jürgen Bauer.

Maschinenbau-Professor Jürgen Bauer, Bachelorstudent Kevin Konusch und sein Betreuer bei der priomold GmbH, Moritz Zumdick, bleiben per Videokonferenz gut vernetzt. (Foto: privat)

Seoul, Südkorea: Hier startete Mode-Student Ruben Landrichter Mitte Januar sein Praktikum bei dem Label MÜNN, eine kleine und renommierte Marke, die auch auf den Fashion Weeks in Europa präsent ist. Seine Aufgaben im Showroom reichen von der Qualitätskontrolle über die Kommunikation mit Schneidermeistern bis hin zum Nähen von Probeteilen. „Hier ist die Situation mit Corona zum Glück sehr gut, die öffentliche Hygiene ist absolut vorbildlich: alle tragen Masken, überall gibt es Händedesinfektionsmittel und die Leute halten Abstand.“ Der Alltag sei bis auf größere Versammlungsorte und Reiseziele kaum eingeschränkt. Michelle Blumenstein, Studentin des Master-Studiengangs Mechatronische Systementwicklung, musste Siemens im kalifornischen Berkeley zwar frühzeitig verlassen, kann ihre Arbeit aber am deutschen Standort in Karlsruhe fortführen. Auch Industrial Design-Studentin Biljana Bauer verabschiedete sich aufgrund des rapiden Auftragsrückgangs frühzeitig aus einem Produktdesignbüro in Antwerpen, fand aber auf Anhieb eine neue Stelle in Deutschland: Bis zum Beginn des neuen Praktikums im Hansgrohe Innovation Lab springt die Studentin als Fahrerin für Essenslieferungen an Senioren ein.

Kim Schwemmle.

Kim Schwemmle und Patricia Steiner studieren Marktforschung und Konsumentenpsychologie an der Fakultät für Wirtschaft und Recht der Hochschule Pforzheim. Ihr Praxissemester absolvieren sie derzeit in ganz unterschiedlichen Bereichen: in der betrieblichen Marktforschung des Traditionsunternehmens Bosch und im Hamburger Start-up-Institut quantilope, das seit 2014 mit seiner „Agile Insights-Technologie“ die Marktforschungsbranche auf ihrem Weg in die Digitale Zukunft beschleunigt. Mitte Februar begann Kim Schwemmle ihr Praktikum im Bereich User Experience bei der Bosch Thermotechnik GmbH und pendelt von Pforzheim nach Wernau (Neckar), während Patricia Steiner Ende Februar in eine Hamburger WG zog.

Seit Mitte März arbeiten beide - wie die meisten der mehr als 130.000 Bosch-Mitarbeiter in ganz Deutschland und die rund 100 quantilope-Kollegen - aus dem Home-Office. „Überraschend gut und technisch vollkommen reibungslos“, habe diese Umstellung bei Bosch geklappt, freut sich Kim Schwemmle. Statt von Schreibtisch zu Schreibtisch im Großraumbüro kommuniziert sie nun telefonisch via Skype mit dem Leiter des Bereichs Market Research/User Experience, Alexander Uhl, der sein Diplom vor mehr als zehn Jahren in Pforzheim machte, ihrem Betreuer und ihren Teamkollegen. Schade sei natürlich, dass viele interessante User Experience-Projekte erst mal auf Eis gelegt werden mussten. In Zeiten von Social Distancing kann man keinem Installateur die neue, innovative Wärmepumpe präsentieren und im persönlichen Interview nach seiner Einschätzung von Handhabbarkeit und Haptik fragen. Kim Schwemmle sehnt sich nach „normalen Bürotagen“ zurück, sobald die – nach den von Bosch großzügig bezahlten Urlaubstagen um Ostern herum – hoffentlich wieder möglich sein werden. Ihr geplantes Auslandssemester in Buenos Aires verschob die Studentin mental bereits auf das kommende Jahr.

Patricia Steiner.

Die Krise als „riesige Chance für quantilope“ sieht Gründer und CEO, Dr. Peter Aschmoneit, dessen Unternehmen vom Start weg mit der quantilope „Agile Insights-Technologie“ die Marktforschung gewissermaßen auf den Kopf stelle. Die automatisierte Self-Service-Plattform mit neuester digitaler Technologie bewährt sich offensichtlich: „Vor allem die Möglichkeiten der Plattform, professionelle Marktforschungsprojekte einfach vom Home-Office zu steuern und mit Kollegen auf einer Plattform live zusammenzuarbeiten, sind jetzt ganz besonders wertvoll“, erklärt Peter Aschmoneit. Nach einer intensiven und super spannenden Kennenlernphase der Kollegen, Tools und Projekte fühlt sich Patricia Steiner „mitten im Geschehen“, auch nachdem alle quantilope-Kollegen sicherheitshalber schon Mitte März ihre Bildschirme und Tastaturen mit nach Hause nahmen. Via Google Hangouts, dem Videokonferenz- und Instant-Messaging-Dienst, trifft man sich jeden Morgen zum Update, und auch die interne Plattform zum Austausch innerhalb des crossfunktionalen Teams aus Sales und Research „funktioniert klasse und ist super easy“, freut sich Patricia Steiner. Viel los also in diesen Wochen bei quantilope, die Stimmung sei sehr gut, und „alle arbeiten höchst motiviert an ihren Projekten, um als einer der Gewinner da rauszukommen“. 

„Veränderungen bieten immer auch Lernchancen“, betont Professorin Dr. Christa Wehner, die den Bachelorstudiengang Marktforschung und Konsumentenpsychologie leitet und während des Praxissemesters den Kontakt zu ihren Studentinnen und zu mehr als 50 Unternehmen und Instituten hält, bei denen Pforzheimer Marktforscherinnen höchst willkommen sind.

Alexander Uhl, leitet die Abteilung Market Research & User Experience, in der Kim Schwemmle ihr Praktikum macht. „Pforzheimer Studenten sind bei uns immer willkommen! Und das nicht nur, weil wir in unserem Team zur Hälfte selbst Absolventen sind. Aufgrund der guten Vorbildung, meist auch schon durch erste Praxiserfahrungen, und des profunden Wissens im Bereich Marktforschung steigen die Studierenden bei uns unmittelbar in die Projekte mit ein. Natürlich gibt es eine erste Einlernphase der Bosch-Prozesse, aber dann geht es richtig los“, sagt Alexander Uhl, der selbst Marktforschung in Pforzheimer studierte.

Dr. Peter Aschmoneit, Co-Founder und CEO von quantilope, hatte die Hochschule beim ESOMAR CAREER Event 2018 kennengelernt und dem Studiengang Marktforschung spontan eine quantilope-Campuslizenz überlassen: „Wir machen jetzt gerade zum vierten Mal in Folge hervorragende Erfahrungen mit Studierenden und Absolventen aus Pforzheim. Einfach richtig kluge, sehr gut ausgebildete und wendige Köpfe, die sehr gut zu unserer agilen Unternehmenskultur passen.“