Messunsicherheit und Tolerierung
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Unter dem Motto – „Innovation fördern, mehr Dialog“ steht das von der Hochschule Pforzheim und der Clusterinitiative „Hochform“ des Wirtschafts- und Stadtmarketings Pforzheim regelmäßig veranstaltete Format „Industrie trifft Hochschule“. Es soll den Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis im Wirtschaftsraum Pforzheim/Nordschwarzwald fördern und durch aktives Netzwerken die Innovationskraft regionaler Unternehmen stärken.
Am 25. Oktober trafen sich rund 100 Unternehmerinnen und Unternehmer, Wissenschaftler, Forscher und interessiertes Fachpublikum an der Fakultät für Technik, um die Rolle und Bedeutung von Messunsicherheiten bei der Tolerierung zu diskutieren. Im Rahmen der Veranstaltung wurde der Zusammenhang von Messunsicherheit und Toleranzen dargestellt. Praxisbeispiele zeigten, welche Herausforderungen Konstrukteure in diesem Zusammenhang täglich zu meistern haben.
Der Kostendruck, Aspekte der Sicherheit und Funktionserfüllung von Bauteilen sowie der schonende Umgang mit Ressourcen sind für die industrielle Praxis wichtige Größen. Ziel einer jeden Produktentwicklung ist es, dass ein Bauteil seine geplante Funktion während seiner gesamten Lebensdauer erfüllt und gleiche Bauteile beliebig austauschbar sind – und das alles unter wachsenden Kundenanforderungen und steigendem Wettbewerbsdruck. Hierfür, muss im Vorfeld eine vollständige und eindeutige Spezifikation, meistens in Form einer Zeichnung, erstellt werden. Sie muss eine funktions- und prüfgerechte Bemaßung aufweisen: Die Toleranzen müssen größer als die kleinsten prüfbaren Toleranzen sein und so die Messunsicherheiten berücksichtigen. Dabei wirkt sich die Messunsicherheit auf die Freigabetoleranz und die tatsächlich nutzbare Toleranz in der Fertigung aus. Noch immer wird diese Erkenntnis in der industriellen Praxis oft vernachlässigt, obwohl in Normen, Richtlinien und Verordnungen die Berücksichtigung der Messunsicherheit in Bezug auf das Messergebnis bereits vorgeschrieben ist.
Professor Dr.-Ing. Frank Lindenlauf, der im Bereich Wirtschaftsingenieurwesen in der technischen Qualitätssicherung und Prozessgestaltung lehrt und forscht, eröffnete seinen Vortrag mit einer interaktiven Umfrage zum Thema. Die Ergebnisse verifizierten seine Beobachtungen, wie z. B. „Messunsicherheiten werden kaum explizit verwendet“ oder „Prüfung und Tolerierung oft ohne Bezug zur Messunsicherheit“. Dabei stellt sich die Frage, warum funktionieren die meisten Bauteile trotzdem nach der ersten Herstellung? Warum wird die Messunsicherheit in der Praxis so wenig genutzt? Die Notwendigkeit der zur Berücksichtigung der Messunsicherheit und bei der Tolerierung ist seit etwa hundert Jahren bekannt, Messemethoden sind für nahezu jede Anwendung verfügbar. Unter den möglichen Ursachen findet sich zum einen die Problematik, dass es eine unzählige Anzahl von Normen, Richtlinien und Verordnungen gibt, die kaum zu überblicken sind. Zum anderen werden der Messunsicherheitswerte etwa auf Dokumenten kaum eingefordert. Der Pforzheimer Professor hält verschiedene Lösungsansätze bereit, so z. B. „... es muss vor allem die richtige Sprache zwischen den Entwicklern und Konstrukteuren gefunden werden. Eine zukünftige wichtige Aufgabe ist es, eine Datenbank für Basismessunsicherheiten zusammenzustellen.“
Auch Bernhard Krämer von der Krämer Qualitätstechnik (K-Qtec) aus Stuttgart untermauerte die Beobachtungen seines Vorredners: „Es gibt viele Begriffe, Regeln und Verordnungen, doch niemand kennt sich wirklich damit aus.“ Der Verband der Automobilindustrie e.V. (VDA) versucht im Band 5 „Prüfprozesseignung“ diese Vielzahl zu strukturieren. In der Produktion liegt das Hauptaugenmerk auf der kostengünstigen Herstellung von Bauteilen, dabei kommt der Analyse von Einflusskomponenten oft wenig Bedeutung zu. Laut Krämer funktionieren die Bauteile ohne Bestimmung der Messunsicherheit, weil die Konstrukteure z. B. Angsttoleranzen einplanen, um so die Unzulänglichkeiten der Messtechnik zu kompensieren. Auch er sieht einen Lösungsansatz darin, das die Prüfprozesseignung zu einem universellen und umfassenden Werkzeug mit standardisierten Lösungen ausgearbeitet werden muss, um die Berührungsängste zu nehmen und so für Konformität zu sorgen, die wiederum die Qualität der Produkte verbessert und das Risiko reduziert.
Das praxisgerechte Einbeziehen der Messunsicherheit in die Tolerierung fordert Entwickler und Konstrukteure immer wieder neu heraus. Davon weiß Dipl.-Ing. (FH) Martin Dennert, CE Corporate Engineering in Brey, zu berichten. „Sie haben Glück, dass jetzt ein Konstrukteur vor Ihnen steht“, begann Dennert seinen Vortrag. Sonderfreigaben seien der letzte Ausweg des Konstrukteurs bei der Bauteiloptimierung. Zeitdruck, spezifische Kundenanforderungen und die große Menge von zu konstruierenden Einzelteilen plus die unüberschaubare Vielzahl an Regelungen, vor allem Werknormen und und Festlegungen in E-Mails machten es oft schwer, kritische Spezifikationen sowie alle Komponenten für ein Bauteil zu berücksichtigen. Abhilfe könnte die Entwicklung eines CAD-Katalogs sein, der alle kritischen Bauteilmerkmale dem Konstrukteur am Bildschirm bereitstellt. „Damit könnten frühzeitig kritische Komponenten ausgewiesen werden und der Konstrukteur wäre in der Lage rechtzeitig Lösungen zu finden. Das wäre wie Weihnachten“, wünschte sich Martin Dennert.
Alle Referenten stellten sich im Anschluss an die Vorträge in einer Podiumsdiskussion den Fragen aus dem Publikum. Im Anschluss gab es für alle bei Fingerfood und Getränken ausgiebig Zeit zu netzwerken und Erfahrungen auszutauschen.
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