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Karriere wichtiger als Kinder: Studium Generale Vortrag über heimliche Hürden der Gleichstellung

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Doris Hess stellt Ergebnisse der Vermächtnisstudie vor

Doris Hess, renommierte Diplom-Soziologin, teilte besorgniserregende Erkenntnisse über deutsche Familienstrukturen, das Berufsleben und Rollenbilder an der Hochschule Pforzheim. Foto: Cornelia Kamper

„Das Ziel der Vermächtnisstudie ist es Veränderungen von Einstellungen und Meinungen zu messen […] und für die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Kindern ist das aktuelle Ergebnis desaströs.“ Mit diesen klaren Worten startet Diplom-Soziologin Doris Hess in ihren Studium Generale Vortrag an der Hochschule Pforzheim. Er lässt die Besucher*innen schon erahnen, was sie bei der Vorstellung der Ergebnisse im Audimax an diesem Abend erwartet.
 

In der vierten Befragungswelle der Vermächtnisstudie, eines Kooperationsprojektes von infas, WZB und der Zeit Verlagsgruppe, wurden über 4200 Personen im Alter von 23 - 65 Jahren zu den Themenbereichen Familienplanung, Karriere und den damit verbundenen Rollenbildern befragt. Für 76% der Befragten habe die Familie weiterhin den wichtigsten Stellenwert im Leben, so Hess – daher sei dieser Bereich auch als Schwerpunkt auserkoren worden. Die Vermächtnisstudie versteht sich dabei als Seismograf gesellschaftlicher Entwicklungen in allen Lebensbereichen und untersucht dabei jeweils drei Dimensionen: Die eigene Einstellung der Befragten zu einem Thema, die Einschätzung gesellschaftlicher Werte und Normen (welche Rolle sollte dieses Thema in der Gesellschaft spielen) sowie einen Zukunftsausblick (was denke ich, wie es in Zukunft aussehen wird). Die Zukunftseinschätzung zum Thema Kinderplanung, die die Soziologin aus der Vermächtnisstudie 2015 mitgebracht hatte, konnte sie nun bestätigen: Die Wichtigkeit eigene Kinder zu haben, sei weiter gesunken. „Interessanterweise sieht man in den Projektionen: der Wert, den wir 2015 für in 8 Jahren abgefragt haben, der liegt gar nicht so weit weg von dem, was man heute will.“, sagt sie.

 

(Heimliche) Hürden der Gleichstellung

 

Die Studie bestätigt, dass viele traditionelle Rollen- und Denkmuster noch immer stark ausgeprägt sind und die Einstellungen in Bezug auf Elternzeit und Karriere geschlechterabhängig stark variieren. 98% der Frauen gehen für 12-13 Monate in Elternzeit, während nur 44 % der Väter dieses Angebot überhaupt in Anspruch nehmen – und bleiben dann im Durchschnitt auch nur 1,4 Monate zu Hause. „Die Antworten erscheinen ehrlicherweise wie aus der Zeit gefallen“, hält Hess fest und führt fort: Die Hälfte der Befragten sehe eine 12-monatige Elternzeit bei Männern mit negativen Folgen fürs Berufsleben verbunden, bei Frauen hingegen schätzen das nur etwa 30 % so ein. Die Folge: Trotz Fortschritten in der Erwerbstätigkeitsquote von Frauen besteht weiterhin nicht nur ein Pay-, sondern auch ein deutlicher Gender Care Gap. Diese Diskrepanz trat gerade auch während der Pandemie verstärkt ins Bewusstsein der Bevölkerung, da viele Frauen die Doppelbelastung von Beruf und Familienmanagement in besonderem Ausmaß erlebten.

 

Immer mehr jüngere Frauen stehen auch dadurch der Frage nach eigenen Kindern durchaus skeptisch gegenüber. Das, was Gesellschaft und Politik forderten, nämlich Vollzeitmutter und Arbeitnehmerin zu sein, komme als Appell nicht bei ihnen an: „Man kann das als Akt der Selbstbestimmung sehen“, erklärt Doris Hess und weist darauf hin, dass man diese Entwicklungen klar als Aufforderung an die Politik verstehen müsse. Ohne die entsprechenden institutionellen Ressourcen und Unterstützungsmaßnahmen, wie zum Beispiel bezahlbare und ausreichende Kinderbetreuung, würden vor allem einkommensschwache Familien weiter in eine Schräglage kommen.

 

Das Fazit des Abends führt zu besorgten Gesichtern: Für eine echte Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist noch einiges zu tun! Doch ein interessanter Ansatz kommt aus dem Publikum: Vielleicht ist gerade die Emanzipation des Mannes, sprich ein verändertes Rollenbild von Vätern, die Lösung?

Die Professorinnen Dr. Christa Wehner, Frauke Sander und Barbara Burkhardt-Reich (v.l.) haben sich sehr gefreut, dass Doris Hess (2.v.l.) bereits zum zweiten Mal die aktuellen Ergebnisse der Vermächtnisstudie im Studium Generale präsentiert hat. Foto: Cornelia Kamper