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„Man muss nicht vertrauen. Sich verlassen auf etwas reicht völlig“

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Professor Dr. Martin Hartmann zu Gast im Studium Generale der Hochschule Pforzheim

Die wissenschaftlichen Leiterinnen des Studium Generale, die Professorinnen Dr. Christa Wehner (links) und Dr. Frauke Sander begrüßten mit Rektor Professor Dr. Ulrich Jautz den Referenten Professor Dr. Martin Hartmann (2.v.l.). Foto: Cornelia Kamper / Hochschule Pforzheim

Vertrauen ist gut, Misstrauen nicht viel schlechter. So könnte man den philosophischen Ansatz von Professor Dr. Martin Hartmann zusammenfassen, der als Referent im Studium Generale das Thema Vertrauen nicht in schwarz und weiß einteilt, sondern auch die Zwischenstufen und Verschiebungen beleuchtet. Sehr zur Freude des Publikums, das am Mittwochabend im Audimax der Hochschule Pforzheim bis spät in den Abend Frage um Frage hinterherschiebt, die Hartmann allesamt kenntnisreich beantwortet.

„Vertrauen: Wollen wir nicht oder können wir nicht?“ lautet der Titel von Hartmanns Vortrag. Der Professor für Philosophie an der Universität Luzern ist Experte auf dem Forschungsgebiet des Vertrauens und hat das Wissenschaftsbuch des Jahres 2021 zum Thema geschrieben. Zu Beginn führt er ein, warum Vertrauen so wichtig ist und wo Vertrauen derzeit schwindet – beziehungsweise sich verschiebt. Denn die gegenwärtige Vertrauenskrise in Institutionen wie Banken, die Kirche und sogar den Staat, sei nichts Absolutes. „Vertrauen verschwindet nicht, es verschiebt sich hin zu neuen Anknüpfungspunkten“, so Hartmann, der seine These am Beispiel eines Notarztes illustriert. Während dieser von Hand Wiederbelebungsmaßnahmen durchführte und ja als Arzt Fachmann sei, sei das Vertrauen einer betagten Patientin in einen Defibrillator deutlich größer gewesen. Das Vertrauen wandere also vom Menschen zur Technik.

 

Zunächst einmal wollten alle Menschen Vertrauen. Und brauchen es auch. Als Beispiele hierfür nennt Hartmann die Politik, die Wissenschaft, aber auch das Militär, was durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine wieder mehr im Bewusstsein der Menschen verankert ist. Zwar wollten alle Vertrauen, niemand wolle aber vertrauen, gerade Menschen, die beispielsweise den Kontrollverlust fürchten (Helikoptereltern) oder einer populistischen politischen Strömung angehören und deshalb aufgrund einer Vertrauenskrise skeptisch gegenüber Fakten sind und Verschwörungstheorien anhängen.

Ein weiteres Beispiel sei Shoshana Zuboffs Gedanke vom Überwachungskapitalismus. „Darin ersetzen Maschinenprozesse menschliche Beziehungen. Also ganz ähnlich wie beim Beispiel des Notarztes“, sagt Hartmann. Oder ein selektiver Umgang mit Vertrauen und Fakten: die gefühlte Wahrheit. Man bestreitet Tatsachen oder betreibt Rosinenpickerei und bestreitet nur jene Annahmen nicht, die die eigene Meinung stützen.

Aber, so Hartmann, es gibt Hoffnung. Nämlich, dass es in gewissem Maß sogar förderlich sei, nicht zu vertrauen, quasi zu misstrauen, wenn sich dies in politischer Partizipation niederschlage. Als Beispiel hierfür nennt er die hohen Beteiligungen an Demonstrationen oder Streiks. Außerdem sei Vertrauen nicht verschwunden, sondern eben vielfach verschoben. Das werde vielleicht gegenüber Menschen im Gegensatz zur Maschine nicht immer positiv empfunden, aber immerhin werde überhaupt vertraut, was einen Wert an sich darstelle, weil Vertrauen auch Mut erzeuge, erklärt Hartmann. Da die Welt aber immer komplexer werde, sei es für uns Menschen immer schwieriger, Vertrauenswürdigkeit zu identifizieren. „Diese ist die Basis für Vertrauen. Wenn dies nicht gelingt, konzentrieren sich Menschen auf Vertrautes, Bekanntes, Übersichtliches, Heimisches. Dadurch wird Vertrauen selbst zu einer Konfliktkategorie, weil es zu Abgrenzung führt“, meint Martin Hartmann.

 

Die Philosophie könne im Umgang mit dem Begriff helfen. „Man muss nicht vertrauen. Sich verlassen auf etwas reicht völlig“, deutet Hartmann einen Unterschied in der Vertrauensdimension an und fügt hinzu: „Sie kann auch zeigen, wo wir bei fehlendem Vertrauen etwas verlieren, was uns wichtig ist, nämlich Freiheit.“

Langanhaltender Beifall und viele Diskussionen bis spät in den Abend zeigen, dass die wissenschaftlichen Leiterinnen des Studium Generale, die Professorinnen Dr. Christa Wehner und Dr. Frauke Sander, wieder einmal den Nerv des Publikums getroffen haben. Neben den knapp 300 Gästen im Walter-Witzenmann-Hörsaal der Hochschule waren rund 200 Zuschauer im Online-Stream dabei.

 

Das Studium Generale setzt sein Programm am Mittwoch, 9. November, um 19 Uhr fort. Dann ist der langjährige ARD-Auslandskorrespondent Klaus Scherer mit seinem Vortrag „#Hetze: Mit Strafverfolgern gegen Hass und Lügen im Netz“ zu Gast an der Hochschule Pforzheim.