Klang-Körper-Kleid für Musikerinnen der Badischen Philharmonie
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Als die Geigerin Anne-Sophie Mutter in den 1980er Jahren im schulterfreien Abendkleid auf die Bühne ging, war das ein Skandal. Im Konzertbetrieb herrschen feste Regeln für die Bekleidung von Musikerinnen und Musikern. Während für den Mann der traditionelle Frack definiert wurde, gibt es für Frauen aber keine explizite Vorgabe eines Kleidungsstücks. Julie Olbert, Solo-Flötistin der Badischen Philharmonie Pforzheim, hat aus diesem Grund gemeinsam mit Generalmusikdirektor Markus Huber zwischen dem Orchester und dem Studiengang Mode der Hochschule Pforzheim eine Kooperation initiiert: Ein neues „Klang-Körper-Kleid“ für die Orchestermusikerinnen.
Welches Kleidungsstück passt zu den Bedürfnissen einer Violinistin, welches zu denen einer Cellistin? Mit diesen Fragen beschäftigten sich 13 Studierende aus dem 6. Semester Mode der Fakultät für Gestaltung. Die Aufgabe an die Nachwuchs-Designer und ihre Professorin Claudia Throm war klar: Das Orchester soll mit der neuen Damenbekleidung ein einheitliches Erscheinungsbild erhalten. Für die männlichen Musiker ist der Frack ein Standard, für Frauen gibt es einen solchen nicht. „Die Vorschriften für Konzertbekleidung wirken häufig absurd. Bei 37 Grad im Scheinwerferlicht Seidenstrümpfe zu tragen ist doch eine Zumutung“, weiß auch Markus Huber, der Pforzheimer Generalmusikdirektor, der ebenfalls Jurymitglied war. „Die außergewöhnlichen Entwürfe der Studierenden zeigen uns, wie elegant Musikerinnen sich kleiden können – und das auf höchstem Niveau in Funktion und Materialität.“
Um dynamische Eleganz ging es dem Team aus Ella Philippi und Klara Schorer. Sie sehen Musiker als Hochleistungssportler und haben sich in ihrem Entwurf auf die Mischung aus Bewegung und Eleganz konzentriert. Auch im medizinischen Bereich haben sie sich inspirieren lassen, um den Musikerinnen mit stützenden Elementen zu helfen. Sabrina Hauber und Raya Kapsreiter setzen in ihrem Konzept „Frack 2.0“ auf das Gesamtbild des Orchesters und auf seine Anordnung in einem Halbkreis. Die Form des Halbrund nehmen sie ihrer Schnittführung auf. Ähnlich einem Frackschwanz ist das Top hinten länger und fließt in einer halbrunden Form nach unten. Die Smoking-Hose hat ein schönes Detail: Die Tascheneingriffe sind in der Form des Klanglochs der Geige gestaltet. In dem Entwurf „Gesamtkunstwerk“ von Laura Keller und Charlotte Schröck spielen organische Formen und die Goldstadt eine große Rolle. Sie haben eine Goldkette integriert, die je nach Instrument in einer dem Bewegungsablauf angepassten Linie nach unten fließt und in der weiten, rockähnlichen Hose verschwindet. „Full Harmonie“ nennen Sabrina Gotthold, Artur Grafenstein und Sabrina Jahn ihr Konzept. Sie haben sich von der Architektur des Gebäudes inspirieren lassen. Die sechseckigen Elemente im Zuschauerraum des Theaters flossen in die Formensprache ihres Kleides ein.
Alle Studierenden haben mit jeweils einer Musikerin zusammengearbeitet, da die Anforderungen sehr unterschiedlich sind. „Über die Jahre habe ich Kleidung gesammelt, die ich gut bei Konzerten tragen kann. Aber es passiert mir immer wieder, dass ich meine Jacke ablegen muss, weil es auf der Bühne zu heiß ist – und da erntet man kritische Blicke“, erzählt Julie Olbert. „Als Flötistin arbeite ich viel mit dem Oberkörper und brauche dort viel Bewegungsfreiheit. Es ist mir schon einmal passiert, dass ich die Nähte an den Oberarmen gesprengt habe“, lacht die gebürtige Amerikanerin. An neue Konzertkleidung für sie und ihre Kolleginnen hatte sie schon häufig gedacht. Die Wiener Philharmoniker wurden zum Jubiläum von Vivienne Westwood neu eingekleidet, die Parsons School of Design New York entwarf neue Kleidung für das Baltimore Symphony Orchestra. In das starre Regelwerk der Orchesterkleidung scheint Bewegung zu kommen. „Das Orchester als Klangkörper bildet eine Einheit. Hierfür auch ästhetisch eine Entsprechung zu finden, ist eine wunderbare Idee“, meint Almut Benkert, Leiterin des Fachbereichs Kreativwirtschaft des Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim und ebenfalls Jurymitglied. „Das Kooperationsprojekt zeigt, wie bereichernd die interdisziplinäre Zusammenarbeit sein kann.“
Mit einer Neuinterpretation des Fracks haben Alex Werth und Hannes Mühleiß den Siegerentwurf geschaffen. Leichter, weiblicher und funktionaler ist ihr Ansatz, ohne dass die Funktionalität sichtbar wird. Die Jacke vereint Frack und Weste in einem Kleidungsstück. Schlitze wirken feminin und geben viel Bewegungsfreiheit. Auf die unterschiedlichen Anforderungen der Musikerinnen haben Ella Shvets und Laila Eby mit einem Baukasten-System aus Jäckchen, Oberteil, Hose und Rock reagiert. Das Jäckchen kann mit der Hose zu einem Overall verbunden werden. Die weit geschnittene Hose wird durch einen Gürtel tailliert und kann je nach Geschmack und Bedarf auf Taille oder hüfttief getragen werden.
Die neuen Schnittformen haben es Maria Gawrilenko besonders angetan. „Asymetrische Formen haben uns in der klassischen Musik lange gefehlt, höchste Zeit, dass sie auch ihren Weg in die Bekleidung finden“, sagt die Konzertmeisterin, die die Entwürfe als Jury-Mitglied genau betrachtet hat. „Der Input der Musikerinnen war immens wichtig“, erzählen Sabrina Gotthold und Artur Grafenstein. Aus den vielen unterschiedlichen Bedürfnissen ein Kleidungsstück zu entwerfen war kein Leichtes. „Kurze Ärmel, lange Ärmel, enges Gewand, weites Gewand – jede Musikerin benötigt andere Funktionen.“ Beide kennen das Procedere: Artur Grafenstein hat bereits in der Schneiderei am Naturtheater Heidelberg gearbeitet, Sabrina Gotthold war bei der Designerin Dorothee Schumacher im Bereich Damenbluse tätig. Besonders war für beide, mit dem Kunden direkt im Austausch zu sein.
Für die Mode-Professorin Claudia Throm, die die Kooperation leitete, ist es ein komplexes wie bereicherndes Projekt: „Die Anforderung war, ein einheitliches Bild zu schaffen. Doch es stellte sich schnell heraus, dass jeder Einzelne sehr individuelle Bedürfnisse hat. Diese unterschiedlichen Anforderungen in Einklang zu bringen ist eine große Aufgabe. Für die Studierenden ist es eine herausfordernde Gratwanderung zwischen Funktionalität, individuellen Wünschen der Musikerinnen und eigenem gestalterischem Anspruch.“ Das bescheinigt auch Professor Johann Stockhammer, Studiengangleiter Mode und Jurymitglied: „Ein in vollem Maße gelungenes Projekt mit echtem Praxisbezug, auf den wir in unserer Ausbildung großen Wert legen.“ In einem Konzert während der Werkschau haben die sechs Musikerinnen ihre maßgefertigte Kleidung getragen. Auch die Entscheidung der Jury wurde gefällt. Der Siegerentwurf von Alex Werth und Hannes Mühleiß hat die Chance, künftig für alle Musikerinnen umgesetzt zu werden.
Konzert und Preisverleihung am 10. Februar 2018 um 16 Uhr im Rahmen der Modenschau:
Die Musikerinnen der Badischen Philharmonie Pforzheim trugen die Entwürfe aus dem Projekt und spielten die Werke "Psyché" (1927) von Manuel de Falla und "Somewhere” aus der West Side Story von Leonard Bernstein.
Die Mitwirkenden:
Elisandra Melián, Sopran; Maria Gawrilenko, Violine; Elena Wagner, Viola; Doreen DaSilva, Violoncello; Julie Olbert, Flöte; Martina Schrott, Harfe a.G.; Philipp Haag, Dirigent
Die Preisträger:
1. Platz: Alex Werth und Hannes Mühleiß
2. Platz: Sabrina Hauber und Raya Kapsreiter
3. Platz: Klara Schorer und Ella Philippi
Gefördert von HOTSPOT House of Transdisciplinary Studies
Fotos: Olga Pfeifle und Sabine Hägele; Konzertfotos: Harald Koch
Pressekontakt: birgit.meyer(at)hs-pforzheim(dot)de, Tel: +49 (7231) 28-6718